Afghanistan in den 1970er-Jahren: Nach einer hoffnungsvollen Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs, demokratischer Reformen und des allgemeinen Friedens erschütterten politische Machtkämpfe das Land am Hindukusch. Ein Bürgerkrieg brach aus, der in der Hauptstadt Kabul ein Machtvakuum hinterließ. Und Moskau fühlte sich zum Einschreiten berufen. In dieser Story erfährst du, warum die Sowjetarmee Ende 1979 in Afghanistan einmarschierte – und welche böse Überraschung sie dort erwartete...
Der russische Pilot steuert seinen Kampfhubschrauber über die schroffen Gebirgskämme des Hindukusch und funkt zum wiederholten Male seinen Lagebericht an die Kommandozentrale. Und es ist jedes Mal dasselbe: Alles ist ruhig, unter ihm nur Geröllwüste und Gebüsch, keine Menschenseele ist zu sehen. Was sollten die Bauern da unten schon gegen seine waffenstarrende Kriegsmaschine ausrichten können? Doch plötzlich nimmt er dort unten etwas Ungewöhnliches wahr. Und gerade noch rechtzeitig kann er den Kampfhubschrauber herumreißen, als mit irrer Geschwindigkeit eine schnurgerade Rauchfontäne zu ihm emporgeschossen kommt. Was zur Hölle war DAS denn jetzt?, fährt es dem erschrockenen Piloten noch kurz durch den Kopf, als schon ein weiteres Geschoss in seine Richtung jagt. Erneut kann er den Hubschrauber im letzten Moment herumreißen, doch er versteht nicht, was dort unten vor sich geht. Wie können armselige Bauern über derart wirkungsvolle Flugabwehrwaffen verfügen? Weiter kommt er in seinen Gedanken nicht. Als er die dritte Rakete auf sich zurasen sieht, weiß er, dass es zu spät ist. Einen Sekundenbruchteil später explodiert sein Kampfhubschrauber in einem tosenden Feuerball über dem kargen afghanischen Land...
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Jetzt runterladen!Zurück ins Jahr 1978: Der reformfreudige König Mohammed Zahir Schah war abgesetzt und sein selbsternannter Nachfolger, Präsident Mohammed Daoud Khan, war in einer kommunistischen Revolte gestürzt und ermordet worden. Der neue Staatspräsident hieß Muhammad Taraki, und dieser begann zusammen mit seinem Premierminister Babrak Karmal und dem Chef seiner Geheimpolizei Hafizullah Amin den Staat in eine stalinistische Diktatur zu verwandeln. Sie ließen Bauern enteignen, die Oberschicht im Land ermorden und die traditionelle Ausübung des Islams verbieten. Mit all dem zogen sie sich den erbitterten Hass der Bevölkerung zu – vor allem der traditionell muslimischen Paschtunen, der größten Stammesgruppe des Landes. Widerstandsgruppen gründeten sich, deren Mitglieder sich Mudschaheddin nannten. Diese Widerstandskämpfer hatten großen Rückhalt in der afghanischen Bevölkerung und wurden damit zur ernsten Gefahr für die kommunistische Diktatur. Ohnehin waren die drei Machthaber längst untereinander in Streit geraten. Premierminister Karmal ging schließlich ins Exil nach Moskau, Geheimdienstchef Amin ließ sich zum neuen Premierminister ernennen, und Präsident Taraki flog nach Moskau, um den sowjetischen Partei- und Staatschef Leonid Breschnew um Beistand im Machtkampf gegen die eigene Partei zu bitten.
Das misslang jedoch gründlich: Taraki wurde ermordet, Amin riss die Macht an sich, der Bürgerkrieg eskalierte. Die sowjetische Führung im Kreml wiederum sah Verdachtsmomente dafür, dass sich der afghanische Ex-Geheimdienstchef und neue Machthaber im allgemeinen Chaos nun den USA annähern würde. Das wäre schlecht gewesen, schließlich befand sich die Sowjetunion mitten im Kalten Krieg gegen die USA und deren westlichen Machtblock und amerikanische Truppen im Nachbarland waren so gar nicht im Sinne der Sowjetführung und der kommunistischen Partei KPdSU! Abgesehen davon würden sich der Sowjetunion mit der Kontrolle über Afghanistan ganz neue Zugangswege zu den zentralasiatischen Ölquellen und zum Indischen Ozean erschließen. Also beschlossen sie, Amin zu töten und seine Regierung gewaltsam aufzulösen. Als am frühen Morgen des 27. Dezembers 1979 Sowjetpanzer über die Nordwestgrenze rollten und sowjetische Flugzeuge auf dem Flughafen Kabul landeten, glaubte Amin noch, dass die Truppen zu seinem Beistand herbeieilten. Aber er wurde eines Besseren belehrt. Wenig später war er tot und durch einen sowjettreuen Politiker ersetzt.
Die afghanische Armee leistete nur geringen Widerstand. Viele Sowjetsoldaten glaubten daraufhin, dass sie nur kurze Zeit im besetzten Land bleiben und sogar als eine Art Befreier gefeiert werden würden. Doch bald sahen sie sich mit heftigster Gegenwehr konfrontiert – vor allem von den islamischen Freiheitskämpfern, den Mudschaheddin. Anfangs sah es noch so aus, als würden die Sowjets leichtes Spiel haben, denn immerhin verfügten sie über eine hochmoderne Armee, während ihre Gegner hauptsächlich einfache Bergbewohner waren. Doch dieser erste Eindruck täuschte ganz gewaltig, denn zum einen kannten die Mudschaheddin ihre Gebiete und wussten ganz genau, wo sie erfolgreich aus dem Hinterhalt zuschlagen konnten. Zum anderen waren die meisten Sowjetsoldaten unerfahrene junge Männer, die auf zähe Kämpfe im Hochgebirge in keiner Weise vorbereitet waren. Was den Afghanistankrieg endgültig zum Desaster für die Sowjets werden ließ, war allerdings etwas völlig anderes: Während die Sowjets oft nicht einmal wussten, wo genau sich der Feind versteckte, wurden die Mudschaheddin mit hochmodernen Feuerwaffen versorgt – und zwar von den Amerikanern.
Als die USA mitbekommen hatten, dass die Sowjets mit zehntausenden Soldaten in Afghanistan einmarschiert waren, um das kommunistische Regime zu stützen, war ein regelrechter Aufschrei durch die westliche Welt gegangen. Die Invasion wurde nämlich offiziell als Unterdrückung eines unabhängigen islamischen Staates angesehen. Allerdings hatte die Empörung auch eigennützige Gründe. Denn wer das riesige zentralasiatische Gebirgsland besetzte, gewann den Zugang zu den reichen Ölquellen des Mittleren Ostens gleich mit. Und dennoch: Hinter verschlossenen Türen hielt sich der Unmut der amerikanischen Militärs in Grenzen. Denn die Kämpfe in Afghanistan würden dazu beitragen, dass die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR) im Kalten Krieg zunehmend geschwächt werden würde – so die große Hoffnung der Amerikaner. Und um dem noch etwas nachzuhelfen, beschlossen die USA kurzerhand, die Mudschaheddin-Krieger mit hochmodernen Waffen auszurüsten und im benachbarten Pakistan eine Art Hauptquartier für sie einzurichten.
Die Sowjets hingegen glaubten noch immer nicht an einen längeren Krieg. Doch gegen die Guerillakämpfer mit ihren amerikanischen Waffen konnte selbst die Rote Armee kaum etwas Wirkungsvolles ausrichten. Und mittlerweile lieferten die USA auch noch Flugabwehrwaffen – sogenannte Stinger-Raketen – nach Afghanistan. Mit ihnen holten die Mudschaheddin die sowjetischen Hubschrauber reihenweise vom Himmel. Bei jedem erfolgreichen Angriff auf die Rote Armee erbeuteten die Mudschaheddin zudem immer wieder neue Waffen, während die Lage für die Sowjets immer unübersichtlicher wurde. Allmählich kehrte auch bei der KPdSU die Gewissheit ein: Trotz ihrer hochmodernen Armee war die sowjetische Intervention in Afghanistan zum Scheitern verurteilt.
Fast zehn Jahre tobte der Krieg in Afghanistan nun schon. Hier war der Kalte Krieg der Weltmächte zu einem äußerst brutalen Dauerkonflikt eskaliert – zu einem Stellvertreterkrieg, der sich im Hintergrund eigentlich zwischen der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten abspielte. Das Ansehen Moskaus in der Weltöffentlichkeit näherte sich dem Tiefpunkt. Und selbst die Sowjetbevölkerung sah nicht mehr ein, weshalb Tausende ihrer Landsleute irgendeinen Krieg am Hindukusch führen mussten, ohne dass es der eigenen Nation irgendetwas einbringen würde. Schließlich musste die Sowjetregierung um den neuen Parteichef Michail Gorbatschow eingestehen, dass sie ihre Ziele in Zentralasien niemals erreichen würde. Er nahm Gespräche mit US-Präsident Ronald Reagan auf. Am 14. April 1988 wurde nach langen Verhandlungen unter der Leitung der Vereinten Nationen das Genfer Abkommen unterzeichnet. Es bestand aus vier einzelnen Verträgen und sah neben dem endgültigen Abzug der sowjetischen Truppen aus Afghanistan auch die De-Internationalisierung des Konflikts und den Austausch von Geflüchteten zwischen den Beteiligten vor. Der Truppenabzug begann, und auch die USA versicherten, nicht mehr in die Belange der afghanischen Regierung einzugreifen.
Für die afghanische Bevölkerung war der Krieg ein unbeschreibliches Desaster: Mehr als eine Million Afghanen hatten in diesen fast zehn Jahren den Tod gefunden, drei Millionen Menschen waren ins benachbarte Pakistan geflohen, weitere zwei Millionen hatten beschlossen, sich ein neues Leben im Iran aufzubauen. Der Krieg hatte auch zahllose Kinder zu Waisen gemacht. Was sollte aus ihnen werden? Wohl nur wenige haben in jener Zeit vorausahnen können, dass bald schon sie die neuen Herrscher über Afghanistan sein würden...
Konnte Afghanistans Bevölkerung tatsächlich aufatmen, als im Jahr 1989 die Sowjets endlich abzogen? Keineswegs. Denn gleichzeitig mit dem Krieg gegen die Besatzer hatten Kommunisten und Muslimen um die Regierungsgewalt im Land gekämpft. Dieser innere Krieg tobte weitere drei Jahre, bis der seit zwei Jahren amtierende kommunistische Präsident Mohammed Nadschibullāh entmachtet war. Doch mittlerweile hatten sich auch die Mudschaheddin in einzelne Lager gespalten, von denen jedes für sich die Macht in Afghanistan erlangen wollte. Gläubige der zwei wesentlichen Strömungen des Islam standen einander unversöhnlich gegenüber: Sunniten und Schiiten. Von einer stabilen Zentralregierung war Afghanistan nach dem Abzug der Sowjets weiter entfernt als jemals zuvor. Unterdessen reifte im Hintergrund still und heimlich eine ganz neue Organisation heran – eine Organisation, die neben ehemaligen Mudschaheddin vor allem Kriegsflüchtlinge und Waisenkinder anwarb.
Es war ein islamischer Geistlicher – ein Mullah namens Omar – der das Chaos im Land geschickt für seine eigenen Ziele auszunutzen wusste. Seine Idee war es, eine hoch religiöse und perfekt organisierte Kampftruppe auf die Beine zu stellen, die mit radikalen Methoden die Ordnung im Lande wieder herstellen sollte. Sein Ziel war eine streng islamische Regierung, deren Gesetze direkt vom heiligen Koran abgeleitet wurden. Und wer sollte sich besser eignen, diese islamische Ordnung durchzusetzen, als die unzähligen perspektivlosen Kinder, Jugendlichen und Kriegsflüchtlinge?
Systematisch begann Omar, die jungen Menschen in Koranschulen auf einen Heiligen Krieg einzuschwören. Dabei half ihm eine einflussreiche Organisation pakistanischer Islamgelehrter – und im Hintergrund zog der Geheimdienst des Nachbarlandes die Fäden. Denn Pakistan war sehr an einem streng islamischen Afghanistan interessiert. Also wurden gezielt Koranschüler angeworben und in Militärlagern zu einer schlagkräftigen Miliz ausgebildet. Omars Krieger nannten sich nun Taliban – was übersetzt schlicht „Studenten“ oder „Schüler des Islam“ bedeutet. Waffen und Kriegsmaterial bekamen sie aus den Paschtunen-Gebieten in Pakistan und finanzielle Hilfe aus dem fernen Saudi-Arabien. Und im Herbst 1994 betrat die Armee der Glaubenskrieger erstmals die Bürgerkriegsschauplätze Afghanistans. In kürzester Zeit brachten sie die Provinz Kandahar unter ihre Kontrolle und nahmen in einem beispiellosen Siegeszug weite Teile des Landes ein. Widerstand gab es kaum: Viele Mudschaheddin wollten nicht auf Glaubensbrüder schießen, die meisten ihrer Gruppen zogen sich in den Norden zurück. Und die kriegsmüde Bevölkerung? Die erhoffte sich von der Machtübernahme der Taliban endlich Frieden und Ordnung im Land.
Was deren Herrschaft tatsächlich bedeuten würde, sollte den Menschen vom Herbst 1996 an deutlich werden.
In nur zwei Jahren hatten die Taliban nahezu ganz Afghanistan unter ihre Kontrolle gebracht und die Hauptstadt Kabul erobert, wo Omars Handlanger den früheren Präsidenten Nadschibullāh folterten und ermordeten. Sie erklärten das Land zu einem islamischen Emirat, das streng nach den Regeln der Scharia regiert werden sollte – einem religiös geprägten Rechtssystem, das sich nach Ansicht der Taliban direkt aus dem heiligen Koran ergab. Das traf vor allem die Frauen und Mädchen. Sie hatten sich von nun an vollständig zu verhüllen, wenn sie das Haus verließen. Ihnen war es fortan verboten, eine Schule zu besuchen oder einen Beruf auszuüben. Unter der islamistischen Herrschaft war es den Menschen zudem verboten, Musik zu hören und zu tanzen, Filme anzuschauen oder sonstigen Vergnügungen nachzugehen. Für geringste Verfehlungen wurden Menschen ausgepeitscht. Doch für die unterdrückte Bevölkerung sollte es noch schlimmer kommen. Denn bald schon trat noch eine weitere islamistische Terror-Organisation auf den Plan, eine weltweit agierende Organisation, die sich schlichtweg nur „Die Basis“ nannte – besser unter dem arabischen Ausdruck „al-Qaida“ bekannt. Und möglicherweise unterschätzten selbst die radikalen Taliban, zu welchen Untaten der Anführer von al-Qaida fähig war. Denn dieser hatte nicht nur das Land Afghanistan im Visier, sondern die Vereinigten Staaten von Amerika...
Zusammenfassung
Nach einem Bürgerkrieg in Afghanistan rissen kommunistische Machthaber in den 1970er-Jahren die Staatsführung an sich. Um diese neue kommunistische Macht zu stützen, ließ der sowjetische Partei- und Staatschef Leonid Breschnew Ende Dezember 1979 Truppen in Afghanistan einmarschieren.
Von Anfang an schlug den Sowjets heftiger Widerstand islamischer Glaubenskrieger entgegen. Die Mudschaheddin wollten ihr Land wieder vom Kommunismus befreien.
Um die Sowjets in Afghanistan zu schwächen, unterstützten die USA die Mudschaheddin mit Waffen und militärischer Ausbildung. Dies war nach dem Korea- und dem Vietnamkrieg der dritte Stellvertreterkrieg des Kalten Kriegs der Supermächte.
Nach fast zehn Jahren Zermürbungskrieg einigten sich der sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow und US-Präsident Ronald Reagan darauf, den Afghanistan-Konflikt zu beenden. Unter Leitung der Vereinten Nationen wurde im April 1988 das Genfer Abkommen über den Truppenabzug und weitere Regelungen unterzeichnet.
Der Krieg in Afghanistan hatte mehr als eine Million Menschenleben gefordert und fünf Millionen Menschen in die Flucht getrieben.
Nach dem Abzug der Sowjettruppen gelang es den Mudschaheddin, die kommunistische Regierung zu stürzen. Der Bürgerkrieg ging jedoch weiter, weil sich die muslimischen Freiheitskämpfer nun untereinander bekriegten.
Mithilfe Pakistans kam ab 1994 die radikale Taliban-Bewegung an die Macht. Die Taliban brachten innerhalb weniger Jahre nahezu ganz Afghanistan unter ihre Kontrolle.
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Richtige Antworten:
1. B) Die Sowjetunion
2. A) Mudschaheddin
3. D) Guerilla-Taktik
4. C) Die USA
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